Häuptling Roman Nose verliert seine Medizin

* Erzählt von Jenny Leading Cloud, Rosebud Indian Reservation, 1967 *

Die Lakota und die Tis-tsis-Tas, also die Sioux und die Cheyenne-sind seit langer Zeit gute Freunde.

Sie haben Schulter an Schulter so manche Schlacht geschlagen.

Sie kämpften gegen die weissen Soldaten an der Bozeman Road, die wir Indianer die Strasse der Diebe nannten,

weil sie gebaut wurde, um unser Land zu stehlen.

Sie fochten gemeinsam am Rosebud River und die beiden Stämme vereinten sich,

um General Custer in der grossen Schlacht am Little Bighorn zu besiegen.

Auch heute noch kommt in einer Kneipenschlägerei stets ein Sioux einem Cheyenne zu Hilfe und umgekehrt.

Wir Sioux werden niemals vergessen, was für tapfere Krieger die Cheyenne einst waren.

Vor mehr als hundert Jahren hatten die Cheyenne einen berühmten Kriegshäuptling,

den die Weissen Roman Nose nannten.

Er hatte das wilde, stolze Gesicht eines Falken, und seine Taten waren legendär.

Wenn er in den Kampf ritt, trug er stets einen Kopfschmuck mit langer, wehender Schleppe.

Er war reich mit Adlerfedern besetzt, von denen jede für eine kühne Tat, einen am Feind gezählten Coup stand.

Roman Nose besass eine mächtige Kriegsmedizin, einen magischen Stein,

den er an sein Haar gebunden am Hinterkopf trug.

Vor einem Kampf steute er heiliges Gelbholzpuder auf sein Kriegshemd

und bemalte sein Pferd mit Hagelkornsymbolen.

Alle diese Dinge, besonders der magische Stein, feiten ihn gegen Gewehrkugeln.

Natürlich konnte er durch eine Lanze, ein Messer oder einen Tomahawk getötet werden,

nicht aber mit einem Gewehr und niemand konnte Roman Nose jemals im Nahkampf besiegen.

Mit der Medizin von Roman Nose hatte es eine besondere Bewandtnis.

Wenn er ass, durfte er nichts aus Metall berühren.

Er musste Löffel aus Horn oder Holz benutzen und aus hölzernen oder irdenen Schüsseln essen.

Fleisch musste für ihn in einem Büffelpansen oder einem Tontopf gekocht werden,

nicht in einem eisernen Kessel des Weissen Mannes.

Eines Tages erhielt Roman Nose die Nachricht, das eine Schlacht zwischen weissen Soldaten

und Cheyenne-Kriegern in Gange sei.

Der Kampf wogte schon über einen Tag lang hin und her.

“ Kommt und helft uns, wir brauchen euch “

lautete die Nachricht.

Roman Nose rief seine Krieger zusammen.

Sie nahmen ein hastiges Mahl ein und Roman Nose vergass die mit seiner Medizin verbundenen Gebote.

Er ass in einem Eisenkessel gekochtes Büffelfleisch, wobei er einen Metallöffel und ein Stahlmesser der Weissen

benutzte.

Die weissen Soldaten hatten auf einer inselartigen Sandbank inmitten eines Flusses ein Fort errichtet.

Sie feuerten aus der Deckung und hatten ein neuartiges, besseres Gewehr, mit dem sie schneller 

und weiter schiessen konnten als die Indianer mit ihren Pfeilen und alten Vorderladern.

Die Cheyenne warfen sich den Soldaten in einem Angriff nach dem anderen entgegen,

aber an einigen Stellen reichte das Wasser bis zum Rücken ihrer Pferde und der Flussgrund war schlüpfrig.

Sie konnten nicht schnell auf den Feind zureiten und waren dem mörderischem Feuer ausgesetzt.

Ihre Angriffe wurden zurückgeschlagen und sie hatten schwere Verluste.

Roman Nose bereitete sich auf den Kampf vor, indem er seine feinsten Kleider, sein Kriegshemd und Leggins anzog.

 Er bemalte sein bestes Pferd mit Hagelkornsymbolen

und er band den Kiesel, der ihn kugelsicher machte, in das Haar an seinen Hinterkopf.

Ein alter Krieger trat jedoch auf ihn zu und sprach:

" Du hast aus einem Eisenkessel mit einem Metalllöffel und einem Stahlmesser gegessen.

Deine Medizin ist wirkungslos.

Du darfst heute nicht kämpfen. Reinige Dich vier Tage lang, damit Deine Medizin wieder wirksam wird.”

"Aber der Kampf ist heute, nicht in vierTagen, "

widersprach Roman Nose.

" Ich muss meine Krieger führen. Ich werde sterben, nur die Berge und Felsen bestehen ewig."

Er setzte seinen grossen Kriegskopfschmuck auf, stimmte seinen Sterbegesang an, und ging dann zum Angriff über.

Als er auf die Brustwehr der Weissen zuritt, traf ihn eine Kugel in die Brust und er fiel vom Pferd.

Sogleich wurde sein Körper von seinen Kriegern aufgehoben

und die Cheyenne zogen sich mit ihrem toten Häuptling zurück.

Ihn im Tod zu ehren war wichtiger als den Kampf fortzusetzen.

Die ganze Nacht hindurch konnten die Soldaten die Trauergesänge der Cheyenne

und das Wehklagen ihrer Frauen hören.

Auch sie wussten, das der grosse Häuptling Roman Nose tot war.

Er war gestorben, wie er gelebt hatte.

Er hatte gezeigt, das es manchmal wichtiger ist, wie ein Häuptling zu handeln, als ein hohes Alter zu erreichen.

Tatanka Yotankas Tanzendes Pferd

* Erzählt von George Eagle Elk, Rosebud Indian Reservation 1969 *

Der Geistertanz war friedlich, aber die Weissen hielten ihn für ein Signal zu einem grossen Aufstand der Indianer.

Sie riefen das Militär zu Hilfe, und am Ende wurden viele unbewaffnete Geistertänzer,

vor allem Frauen und Kinder, am Wounded Knee niedergemetzelt.

Wir Indianer glauben, das die Weissen den Geistertanz fürchteten, weil sie ein schlechtes Gewissen hatten.

Denn erst wenige Jahre zuvor hatten sie den Indianern die Hälfte ihres noch verbliebenen Landes genommen.

Menschen mit schlechtem Gewissen leben in Furcht.

Sie hassen diejenigen am meisten, denen sie Unrecht getan haben.

So war es mit dem Geistertanz.

Damals lebte Sitting Bull mit seinen Hunkpapa auf der Standing Rock Reservation in North Dakota.

Er war nicht, wie manche glauben, der Kriegsanführer, der Custer am Little Bighorn besiegte.

Er war ein heiliger Mann, der geistige Führer der Sioux Nation.

Er kam mit einigen Weissen gut aus, aber er sagte stets: “ Der Weisse Mann soll neben aber nicht über mir sein! “

Sitting Bull oder Tatanka Yotanka, wie er in der Sprache der Sioux genannt wird,

war ein stolzer und würdevoller Mann und niemals Sklave.

Irgenwann vor 1890 hatte sich Sitting Bull der Wildwestshow von Buffalo Bill angeschlossen.

Er war durch das ganze Land gereist.

In New York konnte man ihn oft am Broadway auf einer Türstufe sitzen

und Fünfcentstücke an arme Strassenjungen verteilen sehen.

Dabei klagte er, das die Weissen es nicht verstünden, für ihre Kinder zu sorgen.

Er sagte auch, das alle Kinder, ob rote, weisse, schwarze oder gelbe, gleich seien in ihrer Unschuld

und das alles gut wäre, wenn sich die Erwachsenen das Gemüt eines Kindes bewahrten.

Sitting Bull und Buffalo Bill wurden Freunde.

Als die Zirkusshow zu Ende war, schenkte Buffalo Bill seinem Freund Tatanka Yotanka einen schönen Sombrero,

den der indianische heilige Mann von da an trug.

Buffalo Bill überliess Sitting Bull auch sein Lieblingszirkuspferd, einen Schimmel,

der allerhand Kunststücke vorführen konnte.

Damals glaubten der grosse weisse Vater in Washington und die weissen Agenten, die die Reservarte verwalteten,

dass das "Indianerproblem" wie sie es nannten, gelöst werden könnte, wenn die Indianer

wie die Weissen lebten, deren Sprache und Kleidung annähmen und von der weissen Gesellschaft aufgesogen würden.

Das Problem wäre also gelöst, wenn es keine Indianer mehr gäbe.

Dagegen lehnte sich Sitting Bull auf.

Er wollte nicht, das die Indianer ausstarben.

Er wollte, das sie ihren alten Traditionen treu blieben, das sie weiterhin den Grossen Geist verehrten,

das sie fortfuhren, ihre eigene Sprache zu sprechen und ihre alten Sioux-Lieder zu singen.

Und weil Sitting Bull ein Wichasha Wakan, ein Medizinmann, war und zwar der meistgeachtete unter den Lakota,

schlossen sich ihm viele Indianer an.

So wurde er zur zentralen Figur des Widerstandes gegen das Aufgehen in der Kultur der Weissen.

Und so schien das Ärgernis des Geistertanzes eine günstige Gelegenheit zu sein den alten Häuptling loszuwerden.

Man unterstellte ihm die Tänzer zu schützen

und schickte dreiundvierzig indianische Polizisten um Sitting Bull zu verhaften.

Wenn er Widerstand leistete und getötet würde - um so besser.

Die Polizisten wurden von den Leutnants Shave Head und Bull Head befehligt.

Sie kamen an einem Wintermorgen vor Tagesanbruch, um den grossen Indianerführer festzunehmen.

Sie stürmten mit gezogenen Waffen in sein Blockhaus, zerrten ihn nackt unter seinen Büffelfellen hervor

und stiessen ihn ins Freie. Sie liessen ihm kaum Zeit sich anzuziehen.

Der Tumult weckte Sitting Bulls Freunde und Verwandte

und sie eilten, unter der Führung von Chase the Bear, herbei um zu helfen.

Sitting Bull stiess die Polizisten von sich und rief: “ Ich werde nicht mitgehen! “

Sofort jagte ihm einer der Polizisten eine Kugel durch den Körper und ein heftiger Kampf entbrannte.

Als alles vorrüber war, lagen fünfzehn Männer tot oder sterbend im Schnee,

darunter Sitting Bull, Chase the Bear und beide Polizeianführer..

Als der Schimmel die Schüsse hörte, dachte er wohl, er sei wieder in der Wildwestshow.

Er begann zu tänzeln stieg auf die Hinterbeine, machte Knickse, drehte sich im Kreis und zeigte alle Kunststücke

die man ihm beigebracht hatte.

So ehrte das Tier seinen toten Herren auf die einzige Art die es kannte.

Und genau so gingen Tatanka Yotanka, der grosse Sitting Bull

und sein weisses Lieblingspferd in die Überlieferungen unseres Volkes ein.